[Dresden] Mit einem Schuldspruch ging heute am Amtsgericht Dresden ein viel beachteter Strafprozess gegen einen Studenten zu Ende. Dem 22-Jährigen wurde vorgeworfen, den Aufzug einer rechtsextremistischen Organisation blockiert zu haben.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte am 19. Februar 2011 mit dazu beigetragen hat, dass ein genehmigter Aufzug von Rechtsextremisten gestört und verhindert wurde. Er wurde deshalb zu einer Geldstrafe von 300 Euro verurteilt und muss die Kosten des Verfahrens tragen. Das Gericht ging damit deutlich über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß hinaus.
Die Staatsanwaltschaft hatte lediglich eine Verwarnung und nur im Falle der Nichtbewährung eine Geldstrafe von 150 Euro gefordert.
In seiner Urteilsverkündung übte der Strafrichter scharfe Kritik an der Verteidigung des Angeklagten. Sie habe nach seiner Ansicht versucht, das Strafverfahren zu einer politischen Angelegenheit zu machen. In ihrem Schlussplädoyer hatte die Verteidigerin ein politisches Signal vom Gericht verlangt. „Wir schulden den Menschen eine Entschuldigung, die seit langem sagen, dass Nazis Menschen umbringen, und die dafür für Spinner gehalten wurde“, forderte die Verteidigerin im Plädoyer.
Diesen Zusammenhang wies das Gericht vehement zurück. „Ich lasse mich nicht in irgendeine Ecke drängen“, rief der Strafrichter in Richtung Anklagebank. Zwar sei es auch für ihn unverständlich, dass eine Nachfolgeorganisation der Partei, die für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich sei, einen Aufzug durchführe. Es sei in dem Verfahren aber nicht um rechts oder links gegangen, sondern um das Versammlungsrecht. Das sei ein Grundrecht und stehe auch unbeliebten Minderheiten wie Rechtsextremisten zu. „Minderheiten sind deshalb Minderheiten, weil sie gerade nicht an der Macht sind“, fügte der Richter in seiner mündlichen Urteilsbegründung hinzu.
Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer die Aufmärsche als „für jeden Dresdner fürchterlich“ bezeichnet. Eine Demonstration von 100.000 Dresdnern in Hör- und Sichtweite der Rechten sei nach den Worten des Staatsanwalts wünschenswert. Eine gesetzeswidrige Blockade könne aber nicht hingenommen werden, da der Zweck nicht die Mittel heilige, so die Anklagebehörde.
Im Verlauf der Verhandlung war strittig geblieben, ob der Angeklagte sich zu Blockadezwecken auf der Straße aufgehalten hatte oder ob er als Passant zu der Menschenansammlung dazugekommen sein könnte. Ein Zeuge hatte ausgesagt, dass zwischen der Räumungsaufforderung der Polizei und der Einkesselung und der Feststellung der mutmaßlichen Blockierer mehr als zwei Stunden vergangen seien. In dieser Zeit sei es jedem möglich gewesen, sich an frei zu bewegen. Für hinzugekommene Passanten sei es laut der Zeugenaussage nicht ersichtlich gewesen, dass man sich dort nicht hätte aufhalten dürfen. Der Strafrichter wertete es dagegen als „lebensfremd“, dass der Angeklagter aus anderen Gründen als dem der Blockade vor Ort gewesen sei könnte.
Der Angeklagte selbst äußerte sich während der Verhandlung nicht zu den Vorwürfen. Er richtete lediglich ein Schlusswort an das Gericht, wonach er es für bestürzend halte, „wie mit friedlichen Demonstranten umgegangen wird“. Diese Aussage wertete der Richter letztlich als Eingeständnis, dass der Angeklagte die Absicht gehabt habe, gegen den Aufzug der Rechtsextremen zu demonstrieren. Deshalb sei er wegen der Verhinderung eines genehmigten Aufzugs für schuldig zu sprechen. Gegen das Urteil kann Revision eingelegt werden.
Rechtsextremistische Organisationen nutzen seit langem den Jahrestag der Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg zu Aufmärschen. Den diesjährigen Aufruf des Bündnisses „Dresden nazifrei“, sich den Rechten am 19. Februar 2011 in den Weg zu stellen, hatten zahlreiche Organisationen und Einzelpersonen mitgetragen. Zu den Unterzeichnern des Aufrufs zählten unter anderem Wolfgang Thierse (SPD), Vizepräsident des Deutschen Bundestages, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, und der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan J. Kramer. Kirchengemeinden hatten an diesem Tag mit mehr als 50 Mahnwachen ein Zeichen gegen Rechtsextremismus gesetzt, 17.000 Menschen gegen den Aufzug der Rechten demonstriert.
Am Rande war es zu heftigen Zusammenstößen zwischen Autonomen und der Polizei gekommen.
Die Ermittlungsbehörden waren im Nachgang der Demonstrationen bundesweit in die Kritik geraten. Bei einer Funkzellenauswertung wurden mehr als eine Million Handy-Verbindungsdaten erfasst, was Datenschützer als unverhältnismäßig kritisierten. Im August des Jahres hatte eine Hausdurchsuchung sächsischer Polizeikräfte bei dem thüringischen Pfarrer Lothar König zu einem scharfen Protest der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland geführt. Dem Pfarrer wird vorgeworfen, am 19. Februar zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen zu haben. (EANN)