Am Nachmittag machte sich eine Gruppe von etwa vierzig praxishungrigen Jugendlichen auf den Weg zu einer Baumpflanzaktion. Aufgeteilt auf vier schwarze Minibusse fuhren sie im Konvoi in den westlich an Kassel angrenzenden Habichtswald. Zugegeben, auf den ersten Blick nicht gerade die seriöseste Erscheinung. Doch ihre Ziele waren umso ehrenhafter: Der Workshop verband das Rauskommen in die Natur mit wichtigen Arbeiten zum Schutz der Natur und zur Pflege der dortigen Mischwälder. Eine Sehnsucht die vielleicht auch Gottes Herz berührt. Und schon die Fahrt dorthin versprach beste Laune und hohe Motivation. Denn ganz plötzlich schaute bei einem der Fahrer eine Stofftier-Eule über die Schulter und flüsterte ihm geheimnisvoll zu: "Alle deine Wünsche werden in Erfüllung gehen." Beruhigt und guten Mutes fuhren wir weiter. Nach einer freundlichen Begrüßung der Mitarbeiter von Hessen-Forst, wurden dann vier verschiedene Aufgabenbereiche vorgestellt.
Als erstes begleitet unser Presseteam eine Gruppe ins Hochmoor. Ihre Aufgabe ist es, dort wachsende Jungpflanzen wie Fichten und Birken abzukneifen, um somit das sich auf etwa 1 ha erstreckende Moorgebiet frei von Baumbewuchs zu erhalten. Aktiver Naturschutz. Denn das Moor-Biotop bietet Lebensraum für hunderte von Insekten, Mikroorganismen wie Pilze, oder auch Rehwild. Noch bis vor hundert Jahren wurde das Gebiet aufgrund von Holzknappheit und wirtschaftlichen Interessen der Holzwirtschaft intensiv bepflanzt. Doch inzwischen wird hier wie beinahe überall in Mitteleuropa, eine ökologische Forstwirtschaft im Sinne der Nachhaltigkeit praktiziert. Das Konzept folgt der einfachsten Regel; Schlage nur so viele Bäume, wie du auch pflanzen kannst für künftige Generationen. Beim Betreten des Moores erspürten wir zuerst noch festen Boden unter den Füßen. Doch nach drei Schritten ist dann gleich der erste Schuh versunken. Chiara und Anne aus Hannover erzählen uns noch warum sie ausgerechnet diesen Workshop machen: "Was Aktives in der Natur, was man sonst nicht macht, wir wollten eine coole neue Erfahrung machen – das ist sie jetzt wirklich. Super Sache."
Und wir machen uns danach lieber gleich auf zur nächsten Station. Sicher ist sicher.
Wir durchfahren eine historische Kastanienallee. Kaiser Wilhelm II. war hier zur Jagd. Unser zweites Zielgebiet hat eine spannende Geschichte. Es ist ein ehemaliges Munitionsdepot. Deutsche und belgische Truppen haben hier bis in die 1990er in unterirdischen Bunkern Munition gelagert und Schieß- und Manöverübungen gemacht. Und jetzt wird einfach alles mit Erde vollgeschüttet und mein Freund der Baum übernimmt das Kommando. „Make trees - not war“, könnte das Motto sein. Renaturierung ist das Schlüsselwort. Heißt im Klartext, dass das gesamte ehemalige Truppenübungsgelände nun mit Nadel- und Laubbäumen bepflanzt wird. Und nicht nur irgendwelche, erklärt mir der Förster. Seltene Baumarten wie Walnuss, Esskastanie oder Wildapfel und -birnen finden einen Platz am Waldinnenrand, neben Lärche und Douglasie.
Und Natascha aus Dresden erklärt mir, warum sie den Workshop so besonders findet: "Naja, wir sind ja aus der Stadt da ist das hier schon echt was Tolles."Für uns geht es als nächstes ins Unterholz. Die Aufgabe der nächsten Gruppe ist es, auf Lichtungen mitten im Buchenwald gesetzte Jungpflanzen zu kontrollieren. Zum Schutz vor Wildtieren, Wettereinflüssen und Schlingpflanzen werden diese von Plastikrohren umgeben. In Forst-Fachsprache Wuchshüllen genannt. Bei den toten oder kranken Bäumen werden die Hüllen wieder entfernt. Dabei herrscht eine tolle Arbeitsteilung. Die Jungs rupfen die Wuchshüllen von den Jungbäumen. Die Mädchen sortieren sie nach Größe und legen sie fein geordnet aufeinander. Und die merkwürdige Stofftier-Eule von der Hinfahrt ist plötzlich auch wieder dabei. Diesmal scheint sie aber doch nicht alle Wünsche zu erfüllen. Denn an einer der Lichtungen sind viele Jungpflanzen bereits vom Rehbock beschädigt worden, er hat mit seinem Gehörn daran „gefegt“ . Ärgerlich für die Forstwirte, denn hauptsächlich durch den Verkauf von gerade und gesund gewachsenen Bäumen finanzieren sie sich und den Naturschutz. Da kann die Eule leider auch nichts machen. Bis heute ist das Bäume fällen, Holzschlag oder Ernten genannt, eine der Hauptaufgaben der Forstwirte. Einer der auszubildenden Forstwirte flüstert mir noch im Scherz, dass seine Lieblingsgruppe bei facebook® "Die Baumschubser" heißt. Inzwischen passiert das Bäume schubsen jedoch nur noch mit Rücksicht auf das ökologische Gleichgewicht und im Geist der Nachhaltigkeit. Die, so viel noch, ist im Übrigen ein Kind deutscher Eltern; zumindest in schriftlicher Form erstmals 1713 von dem deutschen Carl von Carlowitz in seinem Buch Sylvicultura Oeconomica benannt. Krasse Kiste.
Eins ist auf jeden Fall sicher: Die Aktion war insgesamt ein voller Erfolg und die Jugendlichen konnten für einen Nachmittag ihren kleinen aktiven Teil am Naturschutz leisten. Und haben dabei jede Menge Spaß gehabt. Nur die merkwürdige Wünsche erfüllende Eule scheint plötzlich verschollen. Vielleicht hat sie sich in einen Baum verliebt und ist gleich dort geblieben.
Zum Schluß treffen sich alle nochmals am Fuß des Herkules, dem Wahrzeichen Kassels, der auf seinem Oktogon thront und majestätisch über die Stadt schaut. Während Tausende von Besuchern den (im vorigen Jahr zum Weltkulturerbe erhobenen) Wasserspielen folgen, haben wir bei blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein praktische Naturschutzarbeit geleistet...